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Im Stempelwald: Filme wider Bürokratie und Willkür

Immer wieder sind Filme klarer als die Wirklichkeit. Die ganz persönliche Sicht eines einzelnen Regisseurs zeigt das Wesen der Dinge, worauf sein Auge ruht, scharf konturiert wie es eine analytische Abhandlung zu leisten vermag. Und manchmal tut der besonders böse Blick dem Betrachter richtig gut, denn die Fokussierung auf Mechanismen, die in öffentlichen und sozialen Institutionen ablaufen, mit denen wir Zuschauer alle mal mehr oder weniger zu tun hatten, verstehen wir alle recht gut

Gridlock`d

Kurzinhalt

Zwei junge Männer tragen in die Notaufnahme eines Krankenhauses eine Frau. Sie ist bewußtlos und die beiden Junkies wissen, wie ernst es um die Frau steht: sie hat eine Überdosis Drogen genommen. Aber die Aufnahmeschwester will, daß die Männer Formulare ausfüllen – die Sozialversicherungsnummer, Krankenkasse, Adresse, Namen der nächsten Verwandten…

Wäre nicht zufällig ein Arzt vorbeigelaufen, hätte Cookie nicht überlebt. Als die beiden Freunde erfahren, daß ihre Leadsängerin vielleicht nie mehr aus dem Koma erwachen kann, beschließen sie, sich einem Drogenentzugsprogramm zu unterziehen.

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Der langen Wege durch die Institutionen nehmen wie die Aufnahme im Krankenhaus schier absurde Züge an. “Gridlock’d” bedeutet wie “im Netz gefangen”. So wie die Freundin beinahe gestorben wäre, weil das Prozedere wichtiger war als der Sachverhalt, unangemessen umständlich ist das Verfahren, in das Entziehungsprogramm zu gelangen.

Die beiden Musiker sind auf die öffentliche Unterstützung angewiesen und scheitern nicht, ihrem Leben eine neue Wendung zu gehen. Dank ihrer schnellen Auffassungsgabe, die Pfade durch den Behördendschungel zu erkennen, kommen sie auf eine rettende Idee, rechtzeitig in das Entzugsprogramm aufgenommen zu werden: Nämlich solange der Schock über den möglichen Verlust der Freundin stärker nachwirkt als die Abhängigkeit von Heroin.

Öffentliche Organisationen sehen sich herausgefordert, angesichts vieler Veränderungen. Aber es scheinen kaum Ansätze zu erkennen sein, die adäquat sich auf die wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche eingespielt hätten. Wir alle, die in einer Arbeitsgesellschaft leben, knüpfen gleichermaßen die persönlichen Chancen und die soziale Integration eng an die Erwerbstätigkeit. Aber unsere Gesellschaft hat noch ein anderes, noch völlig unterschätztes Symptom der gesellschaftlichen Spaltung vorgebracht: Die Teilung der Gesellschaft zwischen teilnehmenden Bürgern, die vom Know-how des Informationszeitalters regen Gebrauch machen, von Gruppen, die ihre eigene soziale und wirtschaftliche Lage verstehen und in die Lösungswege finden, sich daraus zu befreien und von Gruppen, die sich von den bestehenden sozialstaatlichen Einrichtungen nicht mehr verstanden sieht. Die “neue Armut” setzt sich dort durch, wo benachteiligte Bevölerungsangehörige auf eine sozial verordnete Verreichung von Mitteln der Wohlstandsgesellschaft bauen.

Ein Qualitätsmerkmal von sozialen Einrichtungen könnte ja sein, den Betroffenen zur rechten Zeit von den Mitteln zu lehren, die sie in die Autonomie führen könnten.

Ladybird, Ladybird

Kurzinhalt

Maggie hat vier Kinder von vier verschiedenen Vätern. Sie gerät nach einem Unglück, bei dem eines der Kinder schwer verletzt wird, in Konflikt mit den Behörden, die ihr das Sorgerecht aberkennen. In ihrer neuen Beziehung zu Jorge, einem Paraguyer, erfährt sie zum erstenmal einen sanften Mann, der sie nicht schlägt, so wie sie es auch von ihrem Vater gewohnt war. Aber auch die beiden nächsten Kinder werden ihr weggenommen, denn der Vater zählt nicht, weil sein Visum abgelaufen ist. Der um das Familienglück ist erst beim Abspann des Filmes gewonnen: Denn jetzt erfahren wir, daß Maggie und Jorge noch drei Kinder bekommen haben und behalten durften.

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Für die intensive Darstellung der in die Mühlen der britischen Sozialbürokratie geratenen und dabei fast zerstörten “working-class”-Mutter gewinnt die Darstellerin den “Silbernen Bären” und ihr Regisseur den Preis der Ökumenischen Jury und den Internationalen Kritikerpreis. Die bisher in all seinen Werken und auch in “Ladybird, Ladybird” (entstammt der englischen Entsprechung zu “Maikäfer flieg…”) vorgenommene Besetzung mit Laien bildet dabei neben der chronologischen Drehfolge, einer präzisen und ausführlichen Vorrecherche und der ausschließlichen Nutzung von Originalschauplätzen ein Grundprinzip der stets dokumentarisch orientierten und um größtmögliche Authentizität bemühten Loachschen Arbeitsweise. (FAZ)

Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Mit emotionaler Authentizität macht er spürbar, worum es um den Konflikt zwischen der Betroffenen und den Sozialarbeitern geht. Es ist die “”Geschichte einer Frau, die als Kind von ihren Eltern, als junge Frau von den Männern und schließlich als Mutter vom Staat mißhandelt wird” (Ken Loach).

Das Fenster

Kurzinhalt

Der Kurzfilm “Das Fenster” entstand in Gedenken an den Asylbewerber Kemal Altun, der sich während seines Verfahrens durch einen Sprung aus dem Fenster im sechsten Stock des Gerichtsgebäudes nahm.

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In symbolisch verdichteter Form wird die ausweglose Situation eines Asylbewerbers gezeigt, der in sein Heimatland abgeschoben werden soll. Die Bilder von der Gerichtsverhandlung vermengen sich mit den Bildern der Verfolgung in sein Heimatland. Unterlegt sind sie mit den authentischen Sätzen des Gerichtsgutachtens, demzufolge gewohntheitsmäßig ausgeübte Folter, die nicht zum Tode führt, nicht als ein ausreichender Grund für die Gewährung von Asyl anerkannt wird.

Es wird deutlich rekonstruiert, woher die Angst des Asylsuchenden gerührt hat: die Sprache der Beamten ist eine andere, unvollständig verständliche. Er nimmt Sprachzusammenhänge war, die er für sich als ausweglose Situation deutet. Der Mangel dieser Verhandlung ist offensichtlich prekär, eigentlich bedürfte jeder Asylanwärter, einen Fach-Dolmetscher, der ihm den Sinn der Gesetzestexte erläutert. Und letztendlich geht dieser Fall jede Gerichtsbarkeit an.

Gestohlene Kinder

Kurzinhalt

Ein junger Karabiniere soll ein zur Prostitution gezwungenes elfjähriges Mädchen mit seinem neunjährigen Bruder in ein Kinderheim bringen. Doch der Heimwart lehnt ab, das Mädchen aufzunehmen, weil er fürchtet, daß es die anderen negativ beeinflussen könne. Der Karabiniere fährt mit beiden Kindern weiter, um für sie gemeinsam ein neues Zuhause zu finden.

Am Ende des Films hat er zwar ein neues Heim gefunden, aber der Abschied von den Kindern fällt umso schwerer, als der Karabiniere seinen Job verliert, weil er eigenmächtig gehandelt hat.

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Eigentlich handelt der Karabiniere der Situation völlig angemessen. Er läßt die von der Reise erschöpften Kinder zur Ruhe kommen und ermöglicht ihnen, von ihren Sorgen zu sprechen. Sein emotionales Engagement geht weit über die offiziellen Vorschriften heraus und gründet auf eine ganz einfache Regel: Auf die der Fürsorge und Menschlichkeit.

Ganz oder gar nicht – The full monty

Kurzinhalt

Sie sind es übel, das Warten auf einen neuen Job, auf ein neues Ansehen, auf Wiedergutmachung. Die sechs arbeitslosen Stahlarbeiter der mittelenglischen Stadt Sheffield tun sich als Striptease Tänzer zusammen. Ihr Auftritt – (sie lassen auch die letzte Hülle fallen – eben “the full monty) wird zum vollen Erfolg. Er füllt nicht nur ihre leeren Taschen sondern hat ihnen wieder die Selbstachtung wiederhergestellt.